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Erdwärme
Das große Bohren nach Wärme
Anita Angerer steht mit ihren Mitarbeitern im Schlamm einer riesigen Baugrube und macht sich ein Bild von den Bohrungen. Hier im dritten Bezirk, im Stadtentwicklungsgebiet „Village im Dritten“, wird nicht nach Öl gebohrt, sondern nach Wärme.
„In 150 Metern Tiefe unter Wien beträgt die Temperatur ca. 14 Grad. Pro 100 Meter Tiefe steigt sie um drei Grad“, erklärt Angerer, die beim Baukonzern Porr den Bereich Geothermie in Ostösterreich leitet. „Die minimale Tiefe für Erdwärmebohrungen sind 70 Meter, wir bohren maximal bis 300 Meter“, so Angerer. In die Bohrlöcher werden Erdwärmesonden eingesetzt. In ihnen zirkuliert Wasser oder Sole, die die Wärme aus der Tiefe an die Oberfläche transportiert. Um einen Raum zu heizen, reichen die Temperaturen nicht aus. Deshalb werden sie mit Hilfe einer Wärmepumpe auf die Heizungstemperatur gehoben. „75 Prozent der Energie kommen aus dem Erdreich, für den Rest benötigt man Strom für den Betrieb der Wärmepumpe“, erklärt Angerer.
Im Sommer nutzt man die Sonden zum Kühlen. Dann leiten sie die Kühle aus dem Erdreich nach oben und die Wärme aus den Gebäuden nach unten. „Diese Rückführung im Sommer ist gerade bei großen Projekten mit vielen Sonden wichtig. Im Laufe der Heizsaison sinkt die Temperatur des Erdreichs. Würde ich nur heizen, würde das Erdreich über die Jahre zu sehr auskühlen“, so Angerer.
Kein Platz? Gehsteig anbohren
Im dritten Bezirk entsteht mit 500 Sonden derzeit das größte Erdwärmeprojekt Österreichs. Es soll ab 2027 ein wesentlicher Teil der Heizung und Kühlung von 2.000 Wohn- und Gewerbeeinheiten werden. Der große Vorteil im Neubau: Es ist genug Platz für Bohrungen und Maschinen da. Sind die Gebäude einmal fertig, werden die Sonden unter den Bodenplatten verschwunden sein. Bei Bestandsgebäuden in der dicht verbauten Stadt scheitert der Einsatz von Erdwärme oft am mangelnden Platz. Für die Bohrungen bleibt meist nur ein kleiner Hof. Die Sonden dürfen auch nicht zu nahe nebeneinandergesetzt werden, da sie sich die Wärme sonst gegenseitig wegnehmen.
Die Lösung des Platzproblems kann in der Nutzung von öffentlichem Grund vor den Häusern liegen. In Wien wurde das im Vorjahr erstmals bei der Sanierung eines Gründerzeithauses mit zwölf Wohnungen ausprobiert. „Im Innenhof war nur Platz für vier Sonden. Drei weitere Sonden wurden deshalb am Gehsteig vor dem Haus gesetzt“, sagt Angerer, die die Bohrungen mit Porr durchgeführt hat.
Eine weitere Herausforderung bei diesem Projekt war die Rückführung der Wärme im Sommer. „In dem Haus verfügen noch nicht alle Wohnungen über Fußbodenheizung. Diese ist aber in diesem Fall die Voraussetzung, um im Sommer mit der Erdwärme auch kühlen zu können. Ohne würde zu wenig Wärme in das Erdreich zurückgeführt werden. Das wurde mit Hilfe von Schwimmbadkollektoren am Dach gelöst. Dabei handelt es sich um schwarze Schlauchleitungen, in denen das Wasser erwärmt und dann wieder über die Sonden in die Erde gepumpt wird“, so Angerer.
Neuer Bonus für Bohrungen
Das Zinshaus im 15. Bezirk wird wohl kein Einzelfall bleiben. Das Geschäft mit den Erdwärmebohrungen wächst stark. Die Investitionen für Geothermie sind zwar hoch, dafür sind die laufenden Betriebskosten niedriger als etwa bei einer Luft-Wärme-Pumpe. „Bei einem Einfamilienhaus muss man mit Bohrkosten ab 10.000 Euro rechnen“, sagt Angerer. Dazu kommt noch die Wärmepumpe. Allerdings werden auch für die Geothermie die Förderungen 2024 kräftig aufgestockt (siehe Titelgeschichte: "Grüne Förderungen im Überblick"). Neu ist ein eigener Bohrbonus in Höhe von 5.000 bzw. 10.000 Euro.