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„Es werden noch weitere Inflationswellen folgen!“
Frédéric Leroux, Carmignac: „Der Markt rechnet für die nächsten fünf oder zehn Jahre im Durchschnitt mit einer Inflation von nur 2,4 bis 2,5 Prozent pro Jahr für die USA und für Europa in ähnlicher Höhe. Ich halte das für einen großen Fehler.“
© Carmignac

Interview mit Frédéric Leroux

„Es werden noch weitere Inflationswellen folgen!“

Frédéric Leroux, Leiter des Cross-Asset-Teams beim Fondsanbieter Carmignac, geht entgegen den Erwartungen des Markts von weiterhin erhöhter Inflation aus und erklärt, wie man als Anleger ­darauf reagieren sollte.

Von Martin Maier

21.05.2024

GEWINN: Warum nehmen Sie an, dass der Höhepunkt der Inflation nicht hinter uns liegt? Schließlich deuten die allermeisten Prognosen darauf hin, dass mittelfristig die Inflationsraten wieder auf die von den Notenbanken angepeilten Niveaus zurückgehen sollten.

Leroux: Ja, Sie haben recht, dies ist eindeutig nicht der Konsens unter den Marktteilnehmern. Am besten lässt sich dies an den Inflationsswaps am Markt für festverzinsliche Wertpapiere ablesen. Diese Instrumente zeigen, dass der Markt aktuell für die nächsten fünf oder zehn Jahre im Durchschnitt mit einer Inflation von nur 2,4 bis 2,5 Prozent pro Jahr für die USA rechnet und für Europa in ähnlicher Höhe. Ich halte das für einen großen Fehler. Denn aus meiner Sicht liegt zwar der erste Höhepunkt der Inflation hinter uns, aber es werden mit großer Wahrscheinlichkeit noch einige weitere Inflationswellen folgen. Denn ich denke, dass wir uns in einer Phase wie in den 1970er-Jahren in den USA oder in Europa befinden – wir sehen hier genau das gleiche Muster, was die Entwicklung der Inflation anbelangt. Die Zeit von 1965 bis 1980 war geprägt von einem mehrjährigen Inflationszyklus mit mehreren Inflationsspitzen, unterbrochen von Phasen geringerer Inflation. Wir können zwar nicht sicher sein, dass es in den kommenden Jahren genauso sein wird. Es ist aus unserer Sicht aber sehr wahrscheinlich, dass uns eine Reihe von Inflationswellen erwartet. Und ausgehend von einer erhöhten Inflation gehen wir auch davon aus, dass wir wieder stärker ausgeprägte konjunkturelle Zyklen sehen werden.

GEWINN: Warum sind Sie mit Ihrer Meinung derzeit so allein auf weiter Flur?

Leroux: Ein Grund ist, dass es für viele Menschen nach einer vierzig Jahre langen Phase sinkender Inflationsraten von 1980 bis 2020 immer noch schwer vorstellbar ist, dass wir uns in einem strukturellen Wandel befinden, der zu einer Rückkehr zu langfristig erhöhter Inflation führen wird. Man muss diesbezüglich verstehen, dass sich gerade einige langfristige, deflationär wirkende Trends umkehren und nun die Inflation befeuern.  

GEWINN: In den 1970er-Jahren wurden die Inflationswellen insbesondere durch die Ölschocks befeuert. Welche Faktoren könnten Ihrer Meinung nach in Zukunft zu einer erhöhten Inflation führen?

Leroux: Ein Hauptfaktor ist der schrumpfende Anteil der sparenden Altersgruppe in unserer Gesellschaft, die im Wesentlichen von 35 bis 65 Jahren reicht. Die Historie hat gezeigt, dass mit einem hohen Anteil an Sparern in der Bevölkerung mehr Kapital für Investitionen zur Verfügung steht, was wiederum zu Produktivitätsgewinnen und damit zu Desinflation führt. Aus demografischer Sicht ist es jetzt einfach, zu berechnen, dass der Anteil dieser Altersgruppe schrumpft bzw. schrumpfen wird. In den kommenden Jahren wird es also weniger Sparer geben, was unter sonst gleichen Bedingungen zu geringeren Produktivitätsgewinnen und mehr Inflation führen dürfte. Auch hinter einem weiteren entscheidenden Faktor steckt die demografische Entwicklung: China musste in den vergangenen Jahrzehnten eine gewaltige Menge an jungen Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren und wurde so zu einem Billiglohnland, das für die ganze Welt günstig produziert. Dieser Preisdruck aus China hat indirekt auch dazu geführt, dass man in den USA und in Europa die Löhne nicht so stark erhöhen konnte, wie man es vielleicht gewollt hatte, um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China nicht zu gefährden. Doch jetzt wird China aufgrund der demografischen Entwicklung diese Rolle nicht mehr in der Form erfüllen können.

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