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„Ich erwarte eine Rezession“
DWS-Experte Thomas Schüßler wurde in Deutschland vor kurzem als Fondsmanager des Jahres ausgezeichnet. Aktuell blickt er mit Sorge auf die Märkte.
© DWS

Interview mit Thomas Schüßler

„Ich erwarte eine Rezession“

Thomas Schüßler managt den DWS Top Dividende, mit einem Volumen von mehr als 20 Milliarden Euro einen der größten Aktienfonds Europas. Im Interview erklärt er seine Strategie und wieso er ­eine Rezession erwartet. 

Von Hans-Jörg Bruckberger

29.03.2023
Exklusiv für GEWINN-Abonnenten

GEWINN: Gratulation zum Titel „Fondsmanager des Jahres“, den Ihnen der Münchner Finanzen Verlag vor Kurzem verliehen hat. Kann man daraus schließen, dass der DWS Top Dividende in der Wahrnehmung generell ein Comeback erlebt, nachdem das Anlegerinteresse vor der Krise 2022 ja eher weniger auf Dividendenstrategien gerichtet war?

Thomas Schüßler: Danke. Tatsächlich lief die Party damals an mir vorbei, obwohl der Fonds gut performt hat. Eigentlich ist es ja paradox, dass Dividenden in Zeiten von Negativzinsen kein Thema waren. Aber viele Anleger haben damals in aggressivere Strategien umgeschichtet und das Risiko ausgeblendet. 2022 hat sich das geändert: Risiken werden plötzlich wieder wahrgenommen, Anleger schauen wieder mehr auf Value als auf Wachstum. Und wir hatten hohe Zuflüsse.

GEWINN: Mittlerweile gibt es aber auch auf den Anleihenmärkten wieder stattliche Zinsen. Wenn ich auf zweijährige US-Staatsanleihen mehr als vier Prozent Rendite bekomme, brauche ich dann, provokant gefragt, überhaupt noch einen Dividendenfonds?

Schüßler: Also eines darf man nicht vergessen: Die Zinsen bei Staatsanleihen sind nominal. Real, also abzüglich Inflation, ist man immer noch im Minus. Aktien bieten hingegen sehr wohl auch einen gewissen Inflationsschutz, weil ja mit den Preissteigerungen auch die Umsätze der Unternehmen steigen – und in weiterer Folge theoretisch auch deren Gewinne und Dividenden. Auch wird bei dieser Betrachtung das Kurspotenzial von Aktien nicht berücksichtigt. Abgesehen davon: Anleihenrenditen waren in der Vergangenheit traditionell höher als Dividendenrenditen – fünf Prozent Zinsen und drei Prozent Dividendenrendite sind völlig normal. Das hat man nur fast schon vergessen, weil in der jüngeren Vergangenheit vor den Zinserhöhungen des vergangenen Jahres alles anders gewesen ist.

GEWINN: Sie haben in Ihrer Karriere schon viel erlebt. Ist die aktuelle Situation mit anderen vergleichbar oder doch einzigartig? Und was hat Sie zuletzt am meisten überrascht?

Schüßler: Am meisten überrascht hat mich, wie stark die Zinsen binnen kürzester Zeit erhöht wurden und wie wenig das die Wirtschaft in Mitleidenschaft gezogen hat. Die Situation ist wahrlich einzigartig. Sie erinnert nur teilweise an die 1970er-Jahre, teilweise auch an die Finanzkrise oder auch das Platzen der Dotcom-Blase nach der Jahrtausendwende. Man kann sich also einzelne Aspekte herausnehmen, ein Bild machen und seine Schlüsse ziehen.

GEWINN: Welche sind das? Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung ein?

Schüßler: Die aktuelle Lage ist sehr schwierig einzuschätzen. Ich erwarte eine Rezession, sehe dafür innerhalb der nächsten 18 Monate eine hohe Wahrscheinlichkeit. Ich glaube, dass die Inflation hoch bleiben wird und damit auch die Zinsen. Neben strukturellen Treibern wie der Deglobalisierung oder der Dekarbonisierung stehen wir vor allem vor einer Lohn-Preis-Spirale, zumal der Arbeitsmarkt eng ist. Lohndruck bei null Wachstum – das habe ich noch nie gesehen!

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