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Standort Österreich unter Druck
Österreich hat mehrere wichtige Industriezweige, die metalltechnische Industrie ist einer der wichtigsten. Sie erwartet heuer das zweite Rezessionsjahr in Folge.
© chriss_ns – GettyImages.com

Industrie der Zukunft

Standort Österreich unter Druck

Der Industriestandort Österreich gerät unter Druck. Eine aktuelle Studie zeigt, dass immer mehr Betriebe planen, Österreich den Rücken zu kehren – oder es schon getan haben. Branchenver­treter schlagen Alarm und geben Handlungsempfehlungen an die Politik.

Von Hans-Jörg Bruckberger

15.05.2024

„Österreich verliert sukzessive an Wettbewerbsfähigkeit“ – das sagt einer, der es wissen muss: Stefan Pierer, Chef des Motorradher­stellers KTM und Präsident der Industriellenvereinigung Oberösterreich. Pierer verweist in Interviews stets auf überbordende Bürokratie, langsame Genehmigungsverfahren und vor allem auf hohe Lohnnebenkosten inklusive einer Schräglage bei der Besteuerung von Arbeit. Durch Letztere würden Vollzeitjobs und Überstunden im Vergleich zu Teilzeit benachteiligt. Der Industrielle hat bereits reagiert, streicht in Österreich heuer 300 Jobs und verlagert Teile der Produktion nach Indien und nach China.

Kleinere Unternehmen mit nur ­einem lokalen Standort könnten dies freilich nicht, weshalb manch eines auf der Strecke bleibt. Das bestätigt die ­aktuelle Insolvenzstatistik: Laut Dun & Bradstreet ist die Zahl der Unternehmensinsolvenzen in Österreich im ersten Quartal 2024 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 55 Prozent auf einen neuen Höchstwert gestiegen. Von Jänner bis März 2024 haben insgesamt 993 protokollierte Unternehmen Insolvenz an­gemeldet. Den stärksten prozentualen Zuwachs bei den gemeldeten Konkursen musste mit 116 Prozent der Bereich ­„Herstellung“ hinnehmen.

Tatsächlich hat sich die Standortqualität in den letzten Jahren verschlechtert. Österreich ist bei mehreren Rankings nur mehr im unteren Drittel der EU-Staaten zu finden. Anfang des Jahres hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sein Standortranking veröffentlicht. Österreich ist dabei vom neunten auf den 13. Platz ­abgerutscht. Von 2006 bis 2020 war es immer unter den top zehn zu finden. Im Global Competitiveness Index 2023 ist Österreich sogar auf dem abgeschla­genen 24. Platz zu finden.

Auch die ­Wirtschaftskammer Österreich (WKO) schlägt längst Alarm – und kann ihre Sorgen jetzt genau dokumentieren. Denn vor Kurzem hat die WKO beim Beratungsunternehmen Deloitte eine Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse es in sich haben: Fast drei Viertel der ­heimischen Industriebetriebe sehen die ­Gefahr einer Deindustrialisierung Österreichs. Neun von zehn Unternehmen gehen davon aus, dass die Attraktivität des Wirtschaftsstandorts in den nächsten drei Jahren sinken wird.

Dass Pierers Vorgehen kein Einzelfall ist, zeigt ein weiteres Ergebnis der Umfrage: 41 Prozent, also vier von zehn Unternehmen, haben bereits Teile ihrer Produktion in einem moderaten, starken oder sogar sehr starken Ausmaß ins ­Ausland verlagert. Von den Abwanderungen sind vor allem kostenintensive Bereiche betroffen, so die Studie, etwa die Bauteilfertigung, die Vormontage oder die allgemeine Produktion. „Es sind hochwertige Tätigkeiten und sehr gut bezahlte Jobs, die bedroht sind“, sagt WKO-Präsident Harald Mahrer.

Die Frage, wohin man Teile der Produktion in den zurückliegenden drei ­Jahren bereits verlagert hat und welche Verlagerungspläne es für die kommenden drei Jahre gebe, dokumentiert eindrucksvoll, dass Europa generell ein Problem hat: In der jüngeren Vergangenheit wurde der Großteil der Kapazitäten, nämlich 81 Prozent, von Österreich in ein anderes EU-Land verlagert. In Zukunft haben das jedoch nur noch 44 Prozent vor. Damit ist Europa nicht mehr der ­bevorzugte Kontinent, denn 46 Prozent liebäugeln mit einer Abwanderung Richtung Asien. Den stärksten Trendwechsel gibt es aber in Bezug auf die USA: In den zurückliegenden drei Jahren haben nur neun Prozent der Unternehmen Teile der Produktion von Österreich in die USA verlagert, in den kommenden zwei bis drei Jahren planen das hingegen bereits 27 Prozent der befragten Unternehmer. Offenbar haben diverse Subventions- und Konjunkturprogramme in den USA die Attraktivität des Standorts erhöht. Auch die US-Konjunktur hat sich zuletzt stärker entwickelt als jene in Europa.

„Die Produktionsverlagerung ist bereits gelebte Realität“, sagt Mahrer, „die Lage ist extrem besorgniserregend.“ Europa sei am absteigenden Ast. Das sieht auch Stefan Pierer so. Er zeichnet ein gar düsteres Bild: Durch die hohen Energie- und Lohnkosten, fehlende Arbeitskräfte und Überregulierung statt Anreizsystemen werden Österreich und die EU als Industriestandort international bald nicht mehr konkurrenzfähig sein, fürchtet der Industrielle. Laut ­Mahrer leiden viele heimische Unternehmen aktuell vor allem auch darunter, dass sie an der schwächelnden deutschen Wirtschaft hängen. Schließlich ist Deutschland Österreichs mit Abstand wichtigster Handelspartner.

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