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Interview mit Johannes Müller
„Trump muss man ernst nehmen, aber nicht wörtlich“
Als ob Prognosen in wirtschaftlich turbulenten Zeiten wie diesen nicht schon schwierig genug wären, liefert auch noch die Politik reichlich Input, der die Sache verkompliziert. Beinahe täglich überstürzen sich die Ereignisse – von Donald Trumps Strafzöllen über Elon Musks Massenkündigungen in US-Behörden bis hin zu Friedrich Merz’ fiskalischem Stimulus in Form eines Billionen-Euro-Kredits. Wie geht man als Volkswirt damit um?
Das klärte GEWINN im persönlichen Gespräch mit Johannes Müller am Fonds-professionell-Kongress in Wien. In diesem outete sich Müller, geborener Salzburger, übrigens als früher Fan von GEWINN. Dieser war nach eigenen Angaben nämlich seine „Einstiegsdroge“ in die Welt der Wirtschaft: In seiner Jugend kam Müller durch die Lektüre des Magazins auf den Geschmack, begann, sich für Wirtschaft zu interessieren, was schließlich zu einem einschlägigen Studium führte und in einer beachtlichen Karriere als Chefvolkswirt und Chefanalyst der DWS, einer der größten Fondsgesellschaften Europas, mündete.
GEWINN: Herr Müller, wir erleben gerade turbulente Zeiten mit praktisch täglich bahnbrechenden News. Wie herausfordernd ist das für Sie als Chefökonom?
Johannes Müller: Es ist in der Tat herausfordernd. Wir müssen unsere Prognosen laufend überarbeiten und anpassen. Vor allem aber ist man mehr denn je gezwungen, in Szenarien zu denken. Aber grundsätzlich ist es ja so: Nur wenn es schlecht läuft, interessiert man sich überhaupt für Ökonomen.
GEWINN: Womit wir bei dem für Europa so wichtigen Industriesektor wären. Sehen Sie hier ein Licht am Ende des Tunnels?
Müller: Nein, der Industriemotor stottert immer noch. Wir befinden uns nun schon im dritten Jahr des Abschwungs – das ist eine historisch ungewöhnlich lange Zeit. Da hat sicher auch die Coronapandemie eine Rolle gespielt. Zuerst gab es eine Vollbremsung, dann einen Superboom und jetzt diese Schwächephase. Indikatoren signalisieren noch keine Trendwende, der Einkaufsmanagerindex liegt immer noch unter der Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Ich schau mir auch immer die Zeitarbeitsfirmen an – ein zyklisches Geschäft, das meiner Meinung nach ebenfalls ein Indikator dafür ist, wie es der Industrie geht. Und auch da schaut es derzeit noch nicht wirklich gut aus.
GEWINN: Das sind gerade für Deutschland, natürlich ebenso für Österreich Bad News. Hinzu kommt die hohe Exportabhängigkeit …
Müller: … und strukturelle Probleme wie etwa die demografische Entwicklung. Aber zurück zur Exportabhängigkeit: Wenn man sich einige der wichtigsten Handelspartner Deutschlands anschaut: Großbritannien – hier geht es bei den Exporten schon seit 2016 nach unten, das hat also offenbar mit dem Brexit zu tun. Das Geschäft mit China nimmt im Trend seit 2018 ab. China hat wirtschaftliche Probleme, sich im Zuge des Handelskriegs mit den USA mehr auf den eigenen Binnenmarkt konzentriert und in vielen Bereichen – Stichwort Autoindustrie – auch seine eigenen Exporte forciert. Das heißt, China wird vom Kunden zum Konkurrenten. Dieser für Deutschland negative Trend wird bleiben. Und natürlich steht jetzt auch in den USA viel auf dem Spiel.
GEWINN: Darauf müssen wir ohnehin noch zu sprechen kommen. Lassen Sie uns zuvor aber noch in Europa bleiben. Was sind Ihre aktuellen Prognosen für die europäische und für die deutsche Wirtschaft im Jahr 2025?
Müller: Für Europa erwarten wir ein BIP-Plus von 0,9 Prozent, zwei Prozent Inflation und einen neutralen Leitzins von ebenfalls zwei Prozent. In Deutschland rechnen wir mit einem BIP-Wachstum von nur 0,3 Prozent und einer Inflation von 0,9 Prozent. Allerdings sind wir aus aktuellem Anlass gerade dabei, unsere Prognosen zu überarbeiten …