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„Unsere größte Sorge gilt nach wie vor der Inflation“
Coface-Chefvolkswirt Jean-Christophe Caffet warnt vor verfrühtem Optimismus an den ­Börsen und stellt zunehmende Unternehmens­insolvenzen in ­Aussicht.
© Coface

Interview mit Jean-Christophe Caffet

„Unsere größte Sorge gilt nach wie vor der Inflation“

An den Finanzmärkten haben sich die Inflationssorgen heuer abgeschwächt. Jean-Christophe Caffet, Chefvolkswirt des Kreditversicherers Coface, sieht das anders: Er fürchtet ein Comeback der ­Teuerung im zweiten Halbjahr und meint, dass die Notenbanken ihre Inflationsziele womöglich gar neu definieren müssen.

Von Hans-Jörg Bruckberger

21.02.2023

GEWINN:  Als weltweit agierender Kredit- und Exportkreditversicherer versichert Coface Unternehmen aus 200 Ländern gegen Zahlungsausfälle und hat dementsprechend tiefe Einblicke: Wie ist es nun, allgemein gesprochen, um die Unternehmen bestellt? ­Erwarten Sie nach den Teuerungen und Zinsanstiegen 2022 in Zukunft mehr Insolvenzen?

Jean-Christophe Caffet: Ich würde nicht so weit gehen und wie manch ein Kommentator eine große regelrechte Pleitewelle in Aussicht stellen. Aber eines ist schon klar: Im aktuellen Umfeld fällt es schwer, keinen deutlichen Anstieg an Insolvenzen zu prognostizieren. Es wird wohl zu mehr Insolvenzen und Zahlungsverzögerungen in Europa kommen. Der Trend geht bei uns schon in Richtung Downgrades, sprich: erhöhte Risiken. Denn so eine paradoxe Situation wie rund um die Coronapandemie, als trotz diverser Lockdowns und dementsprechendem Stillstand der Wirtschaft in vielen Ländern und Sektoren die befürchtete Pleitewelle ausgeblieben ist, sehe ich jetzt nicht mehr.

GEWINN: Warum nicht?

Caffet: Die staatlichen Hilfsmaßnahmen waren massiv, getreu dem Motto „Koste es, was es wolle“. Das ist jetzt anders, trotz diverser Unterstützungen zur Abfederung der Belastungen durch die gestiegenen Energiepreise. Zudem müssen die Notenbanken die hohe Inflation bekämpfen und die Zinsen erhöhen, was ja auch wieder viele Unternehmen belastet. Finanzierungen sind jetzt viel teurer für sie. Generell ist die aktuelle Krise mit Inflation, den hohen Energiepreisen, der politischen Komponente – Stichwort Ukraine – und all den damit gestiegenen Kosten komplexer, und ich fürchte, auch hartnäckiger. In Frankreich sind die Insolvenzen zuletzt beispielsweise um etwa 50 Prozent gestiegen. Aber das klingt dramatischer, als es ist, es ist eher eine Art Normalisierung, weil sie während der Pandemie extrem niedrig waren.

GEWINN:  Wie ist die Situation in Österreich? Wirkt hier zusätzlich das starke Osteuropa- oder gar Russland-Exposure zahlreicher Unternehmen negativ?

Caffet:  In Österreich ist es ähnlich: 2022 sind die Insolvenzen gegenüber 2021 um 57 Prozent angestiegen. Aber sie liegen damit immer noch knapp fünf Prozent unter dem Vorkrisenniveau von 2019. Ich denke, das Thema Inflation wiegt auch hier viel schwerer als das direkte Russland-Exposure. Und für Österreich ist die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands am wichtigsten.

GEWINN: Welche Branchen sind betroffen?

Caffet: Im Herbst haben wir in Österreich in drei Branchen ein gestiegenes Risiko von Zahlungsausfällen beobachtet: Handel-, Holz- und Verpackungsbranche wurden von „Medium Risk“ auf „High Risk“ herabgestuft. Die Herabstufung dieser Branchen ist aber kein österreichisches Phänomen, vielmehr folgt die Entwicklung dem gesamteuropäischen Trend. Generell stehen natürlich energieintensive Branchen unter Druck.

GEWINN:  Zurück zur Inflation: Ist diese Sorge inzwischen nicht schon wieder obsolet? Die Finanzmärkte feiern ja bereits die zurückgehende Teuerung und damit das herannahende Ende des Zinsanhebungszyklus in den USA und Europa …

Caffet: Wir sind da sehr skeptisch. Die gute Stimmung an den Finanzmärkten ist noch nicht durch Fundamentaldaten untermauert. Es scheint derzeit eher die Angst, etwas zu versäumen, die Anleger anzutreiben. Gerade in Hinblick auf die Inflation sehen wir durchaus eine Wahrscheinlichkeit, dass diese im zweiten Halbjahr wieder ein Thema werden könnte und die Disinflation der ersten Jahreshälfte unterbrochen wird. Eine Rückkehr zum Zwei-Prozent-Ziel der Zentralbanken in Europa und den USA ist alles andere als sicher, vielleicht müssen wir doch länger mit einer höheren Inflation leben und das Ziel muss eher auf drei bis fünf Prozent angehoben werden.

GEWINN:  Was befeuert Ihrer Meinung nach die Inflation im Jahr 2023?

Caffet: Im ersten Halbjahr gibt es noch einen gewissen positiven Basiseffekt, aber im weiteren Verlauf des Jahres könnten dann Zweitrundeneffekte inflationssteigernd wirken, etwa durch Lohnerhöhungen. Allen voran könnten aber wieder steigende Energiepreise die Inflation befeuern. Dasselbe gilt für die Erholung Chinas nach der Wiedereröffnung. So erfreulich das für das globale Wirtschaftswachstum ist, eine gesteigerte chinesische Nachfrage nach Rohöl kann in Kombination mit einer weiteren Verknappung im Zuge der Ukraine-Krise die Angebots-Nachfrage-Situation verschlechtern und die Preise jederzeit wieder in die Höhe treiben. Im Übrigen war das auch in den 1970er- und 1980er-Jahren zu beobachten, als die hohe Inflation schließlich zurückgegangen war, dann aber doch wieder deutlich angestiegen ist. Und noch etwas: Wir erleben gerade eine Reglobalisierung, einen Paradigmenwechsel weg von „Just in time“ hin zu „Safety first“, sprich, es wird in die Versorgungssicherheit investiert – auch das kostet Geld und wirkt preistreibend. Dasselbe gilt für die riesigen Summen, die in den Ausbau alternativer Energiequellen investiert werden müssen.

GEWINN:  Die politische Situation bleibt generell ein großer Unsicherheitsfaktor, oder?

Caffet:  Ja, leider. Und das ist einer, der schwierig zu kalkulieren ist, weil es de facto ein menschlicher Faktor ist. Coface hat einen eigenen Risikoindex entwickelt, der die soziale und politische Stabilität abbildet, und dieser ist global immer noch auf einem historisch sehr hohen Niveau. Man darf neben dem Ukraine-Krieg auch nicht die Spannungen zwischen China und Taiwan vergessen sowie jene zwischen China und den USA.

GEWINN:  Und wie ist Ihre aktuelle Einschätzung der Weltwirtschaft, was nun das BIP-Wachstum betrifft?

Caffet: Grundsätzlich muss man schon sagen, dass es den Umständen entsprechend gut ausschaut. Also die schlimmsten Rezessionsbefürchtungen scheinen nicht einzutreten und wir können zumindest durchatmen. Wir erwarten für 2023 ein globales BIP-Wachstum von etwa zwei Prozent.

GEWINN: In Kombination mit einer wiederaufflammenden Inflation droht in Anbetracht geringer Wachstumsraten somit womöglich die gefürchtete Stagflation?

Caffet: Ja, wie gesagt: Unsere größte Sorge gilt nach wie vor der Inflation. Das kann ein echter Game-Changer werden: Unternehmen würden nachhaltig mit höheren Kosten konfrontiert sein und damit einhergehend auch mit einer sinkenden Profitabilität. An der makroökonomischen Front ist diese Stagflation jedoch nicht unbedingt nur eine schlechte Nachricht: Das wertmäßige Wachstum könnte sich dem der Vergangenheit annähern, allerdings mit einem deutlich anderen Verhältnis zwischen Volumen und Preisen: höhere Preise, weniger Volumen.

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