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Aktienmärkte
„Zinssenkungen sind selten gut für die Märkte“
GEWINN: Herr Dr. Schüßler, Sie managen den DWS Top Dividende, einen der größten Value-Fonds Europas, bei dem günstige Bewertungen und der Kapitalerhalt im Vordergrund stehen. Alles Dinge, die derzeit anscheinend niemanden interessieren, weil jeder nur noch Technologieaktien kauft. Ich nehme an, Sie hatten schon mal mehr Spaß an Ihrer Arbeit, oder?
Thomas Schüßler: Mein Spaßfaktor geht momentan tatsächlich gegen null! Wenn der Markt 20 Prozent im Plus liegt, sind Dividenden nicht wirklich wichtig. Value-Fonds kommen da nicht mit. 2023 erzielte der DWS Top Dividende etwa zwei Prozent Rendite. Langfristig, seit Auflage des Fonds im Jahr 2003, errechnet sich eine durchschnittliche Rendite von gut acht Prozent pro Jahr, etwa die Hälfte davon kommt aus Dividenden. So etwas interessiert aktuell allerdings kaum jemanden, wir verzeichnen Mittelabflüsse. Wir sind halt zu langweilig. Es gibt derzeit so gut wie keine Langfristinvestoren mit einem Value-Fokus.
GEWINN: Stattdessen kaufen alle die gehypten üblichen Verdächtigen. Gefühlt hält jeder global ausgerichtete Fonds Microsoft, Nvidia und Co. als Toppositionen und jeder Europa-Fonds Novo Nordisk, ASML und SAP, unabhängig von der propagierten Investmentstrategie. Muss man das nicht kritisch sehen?
Schüßler: Wir haben einen der stärksten Trendmärkte, die ich je gesehen habe. Durch den KI-Hype hat sich die schon länger anhaltende Dominanz von Wachstumstiteln nochmal beschleunigt. 2008 waren die Top-zehn-Aktien weltweit nach Marktkapitalisierung Konzerne wie Exxon Mobil, Gazprom oder GE, und alle zahlten Dividenden. Heute sind es Microsoft, Apple, Nvidia, Amazon und Co., und viele zahlen gar keine Dividenden. In der Tat hat der Markt dazu geführt, dass sich die Fonds in ihrer Anlagepolitik kaum unterscheiden. Sie müssen sich als Fondsmanager mit der Benchmark messen. Ohne Nvidia hast du praktisch ein mieses Jahr, weil die schon so groß sind. In so einem Markt sind die größten Verlierer jene Fondsmanager, die nicht mitmachen. Selbst wenn es einen Markteinbruch gäbe und man mit dem Markt runtergeht, wäre das weniger schlimm, als wenn man beim Aufschwung nicht dabei ist. Niemand kauft mehr Aktien, die fallen, sondern nur noch solche, die steigen. Aktive Fondsmanager kaufen in der Regel, was läuft. Das nennt man Momentum-Markt.
GEWINN: Die Hausse nährt die Hausse. Aber birgt das nicht immense Gefahren? Die Magnificent Seven, die großen US-Technologiewerte, sind schon mehr wert als die 600 größten börsennotierten Konzerne in Europa zusammen. Sehen Sie die Gefahr einer Spekulationsblase, wie wir sie beispielsweise zur Jahrtausendwende gesehen haben?
Schüßler: Natürlich werden teilweise Erinnerungen wach. Wir sehen eine historisch hohe Konzentration. Die top zehn Prozent der größten Aktien machen bereits etwa 75 Prozent der Marktkapitalisierung im US-Aktienmarkt aus. Eine ähnlich hohe Konzentration gab es in der Geschichte in den Jahren 1929 und 2000. Wobei man schon sagen muss, eine Nvidia ist nicht vergleichbar mit den damaligen Dotcoms. Das sind globale Monopole, die da jetzt durch die Decke gehen. Also, wenn es eine Blase ist, dann jedenfalls eine rationale Blase. Aber was vielen wohl nicht bewusst ist: Die Konzentration hat sogar noch zugenommen. Denn von den glorreichen sieben sind zuletzt ja nicht mehr alle gut gelaufen.
GEWINN: Das stimmt, Apple notiert seit Jahresbeginn im Minus, und die Tesla-Aktie ist sogar richtig abgestürzt …
Schüßler: Also, es wird schon schwieriger und enger.