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Eine für alle© Rob Daly - GettyImages.com, SHERBAK.PHOTO - GettyImages.com, Bildbearbeitung: GEWINN

Sammelklagen

Eine für alle

Österreich hatte bereits ein Vertragsverletzungs­verfahren am Hals, nun hat sich die Regierung doch noch auf eine neue Form der Sammelklage geeinigt, die Konsumenten effizienter schützen soll.

Von Susanne Kowatsch

27.08.2024
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Ob unzulässige Preiserhöhungen bei Energieversorgern, Servicepauschalen, schadhafte Brust­implantate oder Abgasmanipulationen bei Dieselautos – die Liste der Ärgernisse von Konsumenten ist lang, meist geht es um mehr oder weniger Geld, mitunter aber auch um die Gesundheit (Stichwort Brustimplantate). Stets stehen viele Geschädigte einem Unternehmen ­gegenüber. Und sind Erstere nicht rechtsschutzversichert, können sie es sich meist nicht leisten, zur Durch­setzung ihrer Rechte vor Gericht zu ziehen. Oder es zahlt sich für sie in ­Anbetracht der geringen Beträge, um die es geht, schlicht nicht aus.

Kostenintensiv sind in der Praxis neben Rechtsanwalt und Gerichts­gebühren vor allem die meist unverzichtbaren Sachverständigengutachten. Dabei könnte man sich diese Kosten teilen, wenn viele Geschädigte beim gleichen Gericht zum gleichen Sachverhalt eine gemeinsame Klage einbringen dürften. Auch die Gerichte, die Allgemeinheit und die Beklagten würden profitieren, schließlich können die Verfahren so effizienter, rascher und günstiger zu Ende gebracht werden, die Kapazitäten der Gerichte werden nicht überlastet. Zur Illustration ein Negativbeispiel: Seit 2018 musste der Verein für Konsumenteninformation (VKI) mangels einer einheitlichen Zuständigkeit rund um den Dieselskandal 16 parallele Sammelklagen in allen Sprengeln der heimischen Landesgerichte führen, beendet wurde noch keine. Während in den USA, Australien, Deutschland oder den Niederlanden viele Tausend Geschädigte längst Geld erhalten haben, sind es hierzulande erst einige Hundert, und dies oft erst nach Anrufung deutscher Gerichte.  

Bisherige „Krücke“

In einem gewissen Rahmen funktionieren Sammelklagen in Österreich schon bisher, allerdings in Form einer selbst gebastelten Schmalspurversion. Sogenannte „Sammelklagen österreichischer Prägung“ basieren auf einer Bestimmung der Zivilprozessordnung (§ 227 ZPO zur „objektiven Klagshäufung“). Damit aus den vielen Geschädigten ein Kläger wird, lässt sich der klagende Verband – bisher sind es vor allem der VKI, die Arbeiterkammer oder auch der private Verbraucherschutzverein VSV – die Ansprüche von den einzelnen Geschädigten formal abtreten. Zudem ist wie zuvor geschildert besonders bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten kein einheit­licher Gerichtsstand gewährleistet, Parallelverfahren mit erhöhten Kosten, überforderten Gerichten und teils ­unterschiedlicher Rechtsprechung bleiben bestehen.

Schon sehr lange versuchen daher Konsumentenschützer in Österreich bereits, „echte“ Sammelklagen zu etablieren. Zuletzt stand man im Jahr 2010 unter Justizministerin Maria Berger knapp davor und scheiterte doch noch am Widerstand von Wirtschaftsvertretern. Die Verbands­klagen-Richtlinie der EU von 2020 zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher brachte allerdings zwangsweise wieder Bewegung in die Materie. In nationales Recht umgesetzt werden hätten die Inhalte der Richtlinie bereits seit Dezember 2022 sollen. Doch es bedurfte erst eines eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens gegen Österreich, in dessen Folge das Landesgericht Klagenfurt die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie bejahte, bis man sich im Juli endlich doch auf eine Novelle einigen konnte, die seit 18. Juli in Kraft ist. Sie bringt das neue Qualifizierte-Einrichtungen-Gesetz (QEG) und u. a. Änderungen in der Zivilprozessordnung (ZPO).

Schaumgebremste neue Möglichkeiten

Vielen Experten geht die Umsetzung allerdings nicht weit genug: „Bei der neuen Abhilfeklage handelt es sich – ähnlich wie bei der Sammelklage ­österreichischer Prägung – im Ergebnis um ‚addierten Individualrechtsschutz‘“, fasst Petra Leupold, Leiterin der Abteilung Klagen des VKI, zusammen, denn „nach wie vor muss jeder einzelne Verbraucheranspruch bestimmt vorgebracht, beziffert, geprüft und betraglich exakt zugesprochen werden. Der klagende Verband kann nicht einen kollektiven Gesamtbetrag für die Gruppe von Betroffenen geltend machen“, anders als etwa in Deutschland. Dafür entfällt hier zumindest „die formale Abtretung der Ansprüche an den klagenden Verband, da dieser die beitretenden Betroffenen bereits von Gesetzes wegen im Verfahren vertritt“, so Leupold.

Kann „die Wirtschaft“ nun aufatmen? Rechtsanwalt Peter Machherndl, der als Dispute-Resolution-Experte bei Pitkowitz & Partners vor allem auch den Unternehmensblickwinkel bestens kennt, meint: „Es ist ein minimalistischer Kompromiss dafür, dass man sich so lange Zeit gelassen hat.“ So hätte die Richtlinie auch erlaubt, etwa EPU mit dem neuen Rechtsinstitut vor übermächtigen Gegnern zu schützen, beispielsweise den kleinen Bauern gegen den großen Lebensmittelkonzern. „Warum sie nicht einbezogen wurden, ist nicht nachvollziehbar, schließlich sind sie genauso schutzbedürftig“, meint Machherndl.

Keine Lösung für Bagatellschäden

Statt einer „Opt-out-Lösung“, die viele nur in Höhe von kleinen Geldbeträgen Geschädigte automatisch in die Sammelklage einbezogen hätte, sofern sie nicht aktiv selbst herausoptieren, wurde eine Opt-in-Lösung gewählt. Mitvertreten wird also nur, wer sich aktiv und rechtzeitig bei einer sogenannten qualifizierten Einrichtung meldet (dazu gleich mehr), was sich wegen ein paar Euro wohl weiterhin nicht allzu viele antun werden. „Es ist unverständlich, warum man so ängstlich war, Opt-out gibt es etwa auch in den Niederlanden“, so Machherndl. Und dort würden auch keine „amerikanischen Zustände“ herrschen. „Es wäre auch ein Vorteil für rechtstreue Unternehmen gegenüber Mitbewerbern gewesen, die sich nicht an Gesetze halten. Zudem bewirkt das Fehlen einer Generalbereinigung, dass immer wieder Einzelverfahren nachgeschoben werden, bis die Verjährung greift. Die Unternehmen müssen Rückstellungen bilden, schleppen die Sache in ihren Corporate-Gover­nance-Berichten etc. nach“, findet Machherndl einige Argumente gegen die in Österreich gewählte halbherzige Lösung. „Die deutsche Regelung kennt hier Gewinnabschöpfungsansprüche der Verbände und den Zuspruch eines kollektiven Gesamtbetrags. Diese Schäden werden in Österreich dagegen weiterhin nicht ersetzt werden, mit anderen Worten: Unrecht kann sich für Unternehmer hierzulande weiterhin lohnen“, kritisiert auch ­Leupold die Umsetzung.

Handelsgericht Wien für alle

Es gibt aber auch Lichtblicke: Ein handfester Vorteil der neuen Verbandsklagen, und zwar sowohl der neuen, bereits erwähnten Abhilfeklage als auch der neuen Unterlassungsklage, liegt darin, dass die Zuständigkeit nun beim Handelsgericht Wien (HG Wien) konzentriert ist. So ist ­besonders „gegenüber ausländischen Beklagten nunmehr ein einheitlicher Gerichtsstand gewährleistet“, so Leupold. Und nicht nur das: „Die Bündelung beim Handelsgericht Wien ist ein ganz starkes Effizienz- und Qualitätssicherungsfaktum und wohl der größte Benefit der Novelle überhaupt. Es wird eine Herausbildung von Fachrichtern und Fachsenaten geben, und man vermeidet widersprüchliche Entscheidungen“, betont Machherndl. Schade findet er allerdings, dass dafür laut Folgenabschätzung der Gesetzesnovelle bloß zwei zusätzliche richterliche Planstellen für das HG Wien vorgesehen sein sollen. Auf noch eines weist Machherndl hin: „Man kann nun beim Handelsgericht Wien auch Unternehmen in Drittstaaten klagen. Also beispielsweise den chinesischen Onlinehändler Temu wegen Waren, welche die europäischen Mindeststandards für Produktsicherheit nicht erfüllen, man könnte eventuell den Verkauf stoppen lassen“, nennt er ein Beispiel.

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