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Umstieg auf die Viertagewoche – das sollten Sie beachten© Sinsee Ho – GettyImages.com

Neue Arbeitswelt

Umstieg auf die Viertagewoche – das sollten Sie beachten

Die Viertagewoche ist in aller Munde. Immer mehr Unternehmen vom Kleinbetrieb bis zum Großkonzern testen das Modell.

Von Michaela Schellner und Erich Brenner

28.09.2022

Welche Rahmenbedingungen dafür notwendig sind und worauf Arbeitgeber und Arbeitnehmer achten sollten, schildern die Rechtsanwältinnen Silva Palzer und Karin Köller im GEWINN-Interview.

GEWINN:Um attraktiver für Mitarbeiter und Bewerber zu werden, setzen sich Unternehmen nach und nach mit der Viertagewoche auseinander. Worauf muss dabei in der Praxis geachtet werden?

Palzer/Köller: Beim Arbeitszeitmodell der Viertagewoche sind sowohl gesetzliche als auch kollektivvertragliche Regelungen zu beachten:

  • Gesetzliche Regelungen: Das Arbeitszeitgesetz (AZG) sieht seit 2008 die Möglichkeit einer Viertagewoche vor (§ 4 Abs 8 AZG). Sieht der KV nichts zur Viertagewoche vor, genügt der Abschluss einer Betriebsvereinbarung bzw. in Betrieben ohne Betriebsrat ist mit den betroffenen Arbeitnehmern eine schriftliche Einzelvereinbarung abzuschließen.
  • Kollektivvertragliche Vorgaben der Viertagewoche: Grundsätzlich ist der Arbeitgeber nicht nur an die gesetzlichen, sondern auch an die kollektivvertraglichen Vorgaben gebunden.

GEWINN: Welche Kollektivverträge ermöglichen bereits eine Viertagewoche?

Palzer/Köller: Da gibt es einige. Beispiele sind etwa die KVs „Handel“, „Gewerbe, Handwerk und Dienstleistung“, „Metallgewerbe“, „Bauindustrie und Baugewerbe“, „SWÖ“, „IT“ und „Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Wirtschaftstreuhänder“.

Zu beachten ist hier, dass die Regelungen überall unterschiedlich sind. Generell gilt in diesen KVs, dass bei Vereinbarung einer Viertagewoche die tägliche Normalarbeitszeit auf 10 Stunden pro Tag ausgedehnt werden kann und die tägliche Höchstarbeitszeit (=Normalarbeitszeit und Überstunden) 12 Stunden beträgt.

Aber Achtung: Die Ausdehnung auf 10 Stunden pro Arbeitstag ist nicht in jedem KV vorgesehen. Erhält dieser keine Erlaubnis dazu, würden ab der 9. Stunde automatisch zuschlagspflichtige Überstunden anfallen.

GEWINN: Wenn es der KV erlaubt, haben Arbeitnehmer dann auch ein Recht auf die Inanspruchnahme der Viertagewoche?

Palzer/Köller: Aus dem Gesetz und auch aus dem KV lässt sich kein Recht auf eine Viertagewoche ableiten, solange keine Betriebsvereinbarung oder Einzelvereinbarung darüber abgeschlossen wurde.  

Erforderlich ist daher immer der Konsens zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat bzw. zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Lediglich der KV Handel sieht eine Spezialregelung des einseitigen Antrags durch die Angestellten vor.

GEWINN: Wenn die Viertagewoche Schule macht, aber nicht von allen Mitarbeitern gewünscht ist, kann der einzelne Arbeitnehmer eine Betriebsvereinbarung zur Viertagewoche dann eigentlich verweigern?

Palzer/Köller: Bei einer Betriebsvereinbarung hat der Arbeitnehmer keine Möglichkeit diese zu verweigern, da eine Betriebsvereinbarung für den gesamten Betrieb gilt und mit dem Betriebsrat vereinbart wird. Ein Veto kann lediglich durch den Betriebsrat eingelegt werden.

Ist kein Betriebsrat errichtet, ist eine Einzelvereinbarung mit dem jeweiligen einzelnen Arbeitnehmer nötig. Diese sind selbstverständlich nicht dazu verpflichtet, diese Vereinbarung abzuschließen.

GEWINN: Die Kollektivverträge und das Gesetz sprechen bei der Viertagewoche von einer Aufteilung der regulären Arbeitszeit auf vier anstatt fünf Tage. Die Stundenanzahl bleibt aber gleich?

Palzer/Köller: Ja. Grundsätzlich ist die Umstellung auf eine Viertagewoche nicht mit einer Stundenreduktion verbunden. Vielmehr werden im einfachsten Fall die 40 Wochenstunden auf vier Tage zu jeweils 10 Stunden pro Tag verteilt. Ist die Normalarbeitszeit durch den Kollektivvertrag verkürzt, also beträgt sie etwa 38,5 Stunden pro Woche, wird die 10 Stunden-Grenze pro Tag bloß nicht voll ausgeschöpft, es sind dann vier Mal 9 Stunden 37,5 Minuten zu erbringen.

GEWINN: Forciert werden derzeit aber auch Modelle mit Stundenreduktio, teilweise bei vollem Lohnausgleich. Rutschen Arbeitnehmer dann automatisch in ein Teilzeit-Arbeitsverhältnis, auch wenn die Reduktion im gesamten Unternehmen und für alle Mitarbeiter erfolgt?

Palzer/Köller: Ja. Sofern der Arbeitnehmer durch die Kürzung der Stunden unter die kollektivvertragliche Normalarbeitszeit fällt, ist er automatisch als Teilzeitkraft zu qualifizieren. Das Gehalt wird dann wohl entsprechend um jene Stunden die weniger gearbeitet werden, aliquot gekürzt. Über die vereinbarte Zeit hinaus geleistete Arbeitsstunden werden als Mehrarbeit teilweise anders behandelt als bisher die Überstunden.

Alternativ kann der Arbeitgeber einer Reduktion der Stunden auch ohne Kürzung des Gehalts zustimmen. In der Regel werden Arbeitgeber dazu aber wohl nicht bereit sein, obwohl man in den Medien lesen kann, dass die überdurchschnittliche Motivation der Mitarbeiter durch diese Regelung auch dazu führen kann, dass am Ende des Tages trotzdem das gleiche Arbeitsergebnis in weniger Arbeitszeit erfüllt wird. Dennoch gilt hier zu beachten, dass statt einem Vollzeit- nur mehr ein Teilzeit-Arbeitsverhältnis vorliegt.

GEWINN: Wie wirkt sich eine allfällige Reduktion von Stunden auf Überstundenpauschalen, Urlaubstage, All-In-Verträge, Pensionsbeiträge und Versicherungszeiten und das Pendlerpauschale aus?

Palzer/Köller: Der Wechsel von einem Vollzeit- auf ein Teilzeit-Arbeitsverhältnis hat naturgemäß Auswirkungen auf Entgelt, Überstundenpauschale etc. Im Detail ist dazu folgendes festzuhalten:

  • Entgelt: Das Entgelt ist entsprechend dem verminderten bzw. erhöhten Arbeitszeitausmaß anzupassen. Einige KVs enthalten besondere Regelungen zur Berechnung des Entgelts von Teilzeitbeschäftigten, etwa durch die Anwendung höherer Divisoren zur Ermittlung des KV-Mindestentgelts oder durch zu gewährende Zuschläge.
    Wenn bislang überkollektivvertraglich entlohnt wurde, ist die Anpassung im entsprechenden Verhältnis ausgehend von diesem Ist-Gehalt vorzunehmen.
  • Überstundenpauschale/All-In: Wenn bislang eine Überstundenpauschale gewährt wurde, ist beim Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit zu unterscheiden, ob es sich um ein Überstundenpauschale oder ein „All-in" gehandelt hat und ob Voraussetzung für die bisherige Gewährung war, dass die Überstunden auch geleistet werden müssen oder nicht.
    Sofern die Überstunden tatsächlich erbracht werden mussten, kann bei einer Reduktion der Arbeitszeit eine Streichung vorgenommen werden. Das allerdings nur dann, wenn der Teilzeitbeschäftigte nicht trotzdem noch „echte“ Überstunden leistet.
    Anderes gilt, wenn die Überstundenleistung nicht Voraussetzung für die Gewährung der Überstundenpauschale/des All-In war. Hier wird wohl nur eine aliquote Reduktion des gesamten bisher zur Auszahlung gelangenden tatsächlichen Entgelts möglich sein.
    Achtung: Ändert sich auch die Lage der Arbeitszeit, ist darauf zu achten, dass das Pauschale den Anspruch des Arbeitnehmers abdeckt. Es ist möglich, dass aufgrund der Änderung der Lage der Arbeitszeit höhere kollektivvertragliche Zuschläge anfallen. Zum Beispiel sind Überstunden nach 20:00 Uhr mit einem Zuschlage von 100 Prozent zu vergüten.
  • Urlaubsanspruch: Nach Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes (OGH) ist beim Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit bestehendes Urlaubsguthaben „wertneutral“ umzurechnen (OGH 9 ObA 20/14b). Das heißt, dass der Urlaub – in Wochen betrachtet – gleichbleibt und nicht gekürzt oder erhöht werden darf. Der Grundsatz lautet: Fünf Wochen Urlaub bleiben fünf Wochen Urlaub.
  • Mehrarbeit/Überstunden: Mehrarbeit liegt dann vor, wenn ein Teilzeitbeschäftigter über das vereinbarte Ausmaß der wöchentlichen Normalarbeitszeit hinaus Arbeitsleistungen erbringt.
    Für Mehrarbeit von Teilzeitbeschäftigten gebührt grundsätzlich ein Zuschlag von 25 Prozent. Mehrarbeitsstunden sind dann nicht zuschlagspflichtig, wenn
    – diese innerhalb eines Kalendervierteljahres oder eines anderen festgelegten Zeitraumes von drei Monaten, in dem sie angefallen sind, durch Zeitausgleich im Verhältnis 1:1 ausgeglichen werden
    – bei gleitender Arbeitszeit die vereinbarte Arbeitszeit im Durchschnitt nicht überschritten wird bzw.
    – in der Gleitzeitvereinbarung vorgesehen ist, dass am Ende einer Gleitzeitperiode bestehende Zeitguthaben (Mehrarbeitsstunden) in die nächste Gleitzeitperiode übertragen werden können.
  • Überstunden: Überstundenarbeit liegt vor, wenn der Teilzeitbeschäftigte die für Vollzeitbeschäftigte am jeweiligen Wochentag geltende Normalarbeitszeit oder die wöchentliche Normalarbeitszeit überschreitet.
    Die Höhe des Überstundenzuschlages richtet sich nach dem anwendbaren KV; regelt der KV nichts, dann beträgt der Zuschlag 50 Prozent.
  • Sozialversicherung: Solange der Arbeitnehmer die Geringfügigkeitsgrenze von 485,85 Euro nicht unterschreitet, besteht die Vollversicherung unverändert aufrecht. Es ändert sich jedoch die Beitragsgrundlage, welche Auswirkungen auf die Pensionsbeiträge haben kann.
    Der ÖGK ist jedoch anzuzeigen – und zwar binnen sieben Tagen, dass sich die Beschäftigung des Arbeitnehmers ändert.
  • Pendlerpauschale: Das Pendlerpauschale richtet sich nach der Anzahl der Tage, an denen der Arbeitnehmer zum Arbeitsort pendelt. Auch ein Teilzeitbeschäftigter kann daher volles Pendlerpauschale erhalten.
Silva Palzer, Rechtsanwältin bei Kanzlei Eversheds Sutherland© Stefan Gergely
Karin Köller, Rechtsanwältin bei Kanzlei Eversheds Sutherland© Stefan Gergely

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